Interview mit Inken Revenstorff

Bild der Bonität

 

Inken Revenstorff ist Kreditanalystin bei Allianz Trade in Hamburg. Sie prüft, inwieweit sich Kunden des Versicherers auf die Bonität ihrer Geschäftspartner verlassen können. Denn das ist die Grundlage einer Kreditversicherung. Für ihre Arbeit muss sie sensible Finanzdaten beschaffen – auch von Firmen, die noch nie etwas von ihr gehört haben.

Sie prüfen die Kreditwürdigkeit von Unternehmen. Nun lässt sich niemand gern ins Portemonnaie schauen. Wie schaffen Sie es, das Vertrauen der Firmen zu gewinnen, die Sie bewerten?
Wir treten glaubwürdig auf. Egal, ob im schriftlichen, persönlichen oder telefonischen Kontakt – das Gegenüber muss sehen, dass wir ein verlässlicher und glaubwürdiger Partner sind, dem man vertrauliche Finanzdaten überlassen kann.

Wie erreicht man das?
Uns hilft sehr, dass Allianz Trade eine seriöse Adresse ist. Als Marke sind wir seit mehr als 100 Jahren am Markt positioniert. Das sind gute Voraussetzungen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Viele unserer Mitarbeiter sind außerdem seit Jahren bei den großen Unternehmen bekannt – das fördert ebenfalls das Vertrauen.

Wie gehen Sie bei Ihren Recherchen vor?
Für alle Unternehmen erhalten wir grundlegende Informationen über eine Auskunftei. Außerdem ziehen wir Bilanzen aus dem Bundesanzeiger hinzu, sofern die Daten dort verfügbar sind. Darüber hinaus recherchieren wir Informationen, indem wir sie direkt von den Unternehmen anfordern. Neben den aktuellen Bilanzen fragen wir je nach Risiko auch ausführliche Finanzberichte an.

Wie nehmen Sie Kontakt zu den Unternehmen auf? Rufen Sie einfach an und fragen sich durch?
Viele Unternehmen kennen uns seit Jahrzehnten und wissen, dass wir Finanzdaten von ihnen benötigen, um unsere Arbeit exakt zu machen.  Sie vertrauen uns und schicken uns die benötigten Berichte unaufgefordert zu. Das ist natürlich super. Dort, wo dies noch nicht der Fall ist, rufen wir an oder senden eine E-Mail. Größere Firmen besuchen wir auch selbst. Wir schätzen den persönlichen Kontakt und den Eindruck vor Ort.

Mit was für Unternehmen beschäftigen Sie sich?

In meinem Fachbereich sind wir für die kleinen und mittleren Unternehmen zuständig. Der Branchenfokus ist weit gefasst. Wir beschäftigen uns unter anderem mit dem Agrar- und Lebensmittelsektor, dem Einzelhandel, der Textilbranche sowie den Bereichen Pharma und Chemie.

Wie können Sie Fachwissen über so verschiedene Branchen haben?
Branchenexperten aus unserem Haus kennen sich hervorragend mit den Entwicklungen in ihrem Bereich aus. Sie liefern uns Knowhow, das in unsere individuelle Analyse einfließt. Wir müssen zum Beispiel wissen, wie sich das Sommerwetter auf einen Einzelhändler auswirkt oder ob ein Schuhhandel auf Dauer ohne Online-Angebot klarkommt. Wichtig kann auch die Frage sein, inwieweit negative Schlagzeilen den Eierproduzenten betreffen, den wir gerade analysieren.

Sind die Unternehmen nicht misstrauisch?
Besonders bei Firmen, die das Konzept der Kreditversicherung nicht kennen, kann es Probleme geben, wenn wir nach Finanzdaten fragen. Oft wollen wir ja diese Informationen von Unternehmen bekommen, zu denen wir gar keine Geschäftsbeziehung haben. Da erschließt sich nicht von vornherein, warum sie uns streng vertrauliche Unterlagen überlassen sollten. Manche haben Angst, dass diese Informationen Unbefugten in die Hände fallen können – zum Beispiel Wettbewerbern.

Was machen Sie in so einem Fall?

Meist lässt sich in einem persönlichen Gespräch klären, warum es sinnvoll ist, uns diese Daten zur Verfügung zu stellen. Wir erläutern ihnen, dass wir die an uns übermittelten Daten nicht weitergeben - nicht einmal innerhalb des Konzerns. Für den Abschluss einer Kreditversicherung wird den verantwortlichen Stellen nur das Ergebnis der Analyse mitgeteilt. Schon gar nicht landen diese Informationen bei unseren Kunden. Wir machen also deutlich, dass Vertrauen in beide Richtungen geht. Wir benötigen zuverlässige Zahlen der Unternehmen und diese können vertrauen, dass ihre Daten bei uns sicher sind.

Wodurch wird Vertrauen beeinflusst, das Sie in Ihre Gesprächspartner haben?

Halten Unternehmen zum Beispiel Planzahlen wiederholt nicht ein, ohne sich zu erklären, schwindet unser Vertrauen in ihre künftigen Prognosen. Wenn sie uns hingegen proaktiv und frühzeitig über Probleme informieren und eine offene Finanzkommunikation betreiben, wird Vertrauen aufgebaut.

Müssen Sie den Angaben einer Firma manchmal blind vertrauen, weil Sie keine Möglichkeit haben, die Fakten zu prüfen?
Nein. Wir beobachten die Firmen über Jahre und sammeln dadurch jede Menge Erfahrung. Zugleich dienen uns andere Unternehmen als Vergleichsgrößen. Wir bekommen dann doch ein Gefühl dafür, wie belastbar die erhaltenen Informationen sind.  

Fällt das von Ihnen vergebene Grading schlechter aus als gedacht, können betroffene Unternehmen Probleme bekommen, oder?
Unser Grading ist die Grundlage, auf der über den Kreditversicherungsschutz entschieden wird. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens rückläufig ist, kann ein schlechteres Grading unerwünschte Folgen haben – sei es, dass wir unseren Versicherungsschutz nicht ausweiten, ihn verringern oder sogar aufheben. Das führt schnell zu unerwünschten Effekten auf der Beschaffungsseite: Es kann passieren, dass Unternehmen nur noch auf Vorkasse oder gar nicht mehr beliefert werden.

Gibt es Unternehmen, die Angst vor Ihnen haben?
Angst ist nicht das richtige Wort, eher Respekt. Manche Firmen unterschätzen, wie es sich auswirkt, wenn sie uns nicht die nötigen Informationen liefern. Wenn die gerade beschriebenen Folgen eintreten, sieht sich das Unternehmen gegenüber seinen Lieferanten schnell in einer misslichen Lage.

Wie entsteht aus Ihren recherchierten Informationen ein vertrauenswürdiges Grading?
Der Analyst vergibt Subgrades zu verschiedenen Bewertungskriterien und setzt diese zueinander in eine Gewichtung. Ein wichtiges Kriterium ist zum Beispiel das Geschäftsmodell. Verändertes Kundenverhalten kann ja dazu führen, dass Unternehmen, die Jahrzehnte erfolgreich waren, mit ihrem bisherigen Geschäftsmodell nicht mehr bestehen können.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Videotheken – die gab es früher in jedem Dorf, dann wurden sie durch Streaming-Angebote im Netz verdrängt. Wenn wir glauben, das Geschäftsmodell habe maßgeblichen Einfluss auf die Zukunft des Unternehmens, erhält dieser Punkt mehr Gewicht in der Gesamtnote als etwa der Gesellschafterhintergrund oder die Eigenkapitalquote.

Worin unterscheiden sich die Gradings, die Allianz Trade vergibt, von den Ratings der drei großen Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch?
Das ist nicht zu vergleichen. Wir haben ein selbstentwickeltes Bewertungsmodell, das aus zahlreichen Quellen angereichert wird, besonders durch unsere eigenen Recherchen. Es gibt aber noch einen wesentlichen Unterschied: Anders als die drei großen Agenturen nutzen wir die durch uns erstellten Gradings nur, um über den Abschluss einer Kreditversicherung zu entscheiden. Wir veröffentlichen die Analysen nicht. Niemand anders erhält Einblick.

Ein Vorurteil lautet, Kreditanalysten würden in Hinterzimmern sitzen und mit Hilfe ominöser Rechenmodelle den Daumen über Firmen senken. Schlägt Ihnen deshalb Kritik entgegen?
Ich glaube, dieses Bild hat sich in den vergangenen Jahren sehr gewandelt. Unsere Gradings sind am Markt anerkannt – und sogar beliebt. Manche von uns bewertete Firmen fordern ihr Grading sogar bei uns an. Wir senden ihnen dann ein entsprechendes Schreiben – natürlich nur, wenn das Grading gut ist. Spezielle Kunden erhalten von uns sogar eine gerahmte Urkunde mit dem Grading, die sie sich dann an die Wand hängen.

Sie drücken Vertrauen in Zahlen aus. Haben Sie manchmal das Gefühl, Vertrauen lässt sich gar nicht quantifizieren?
Unser Modell basiert auf quantitativen und qualitativen Daten, wie zum Beispiel den Eindrücken aus Besuchen vor Ort. Am Ende fließt beides in eine Zahl ein. Das funktioniert sehr gut.

Versuchen Firmen manchmal, ein besseres Bild von sich zu vermitteln als es die Wirklichkeit hergibt?
Unternehmen stellen sich natürlich gern positiv dar. Da sagt ja keiner, seine Lage sei hoffnungslos – es sei denn die Insolvenz ist ohnehin nicht mehr abzuwenden. Wie belastbar das Bild ist, ergibt sich oft erst im persönlichen Gespräch, wenn wir die Angaben kritisch hinterfragen. Auch hier hilft uns, dass wir auf Unternehmensdaten und Branchenwissen zurückgreifen können.

Bei welchen Fragen versuchen Unternehmen besonders häufig, ihre Lage schön zu reden?

Die Frage nach den wichtigsten Wettbewerbern führt manchmal zu Überraschungen. In der Vorbereitung eines Gesprächs machen wir uns dazu ja auch Gedanken. Wenn dann plötzlich Unternehmen als Wettbewerber genannt werden, die in einem ganz anderen Preissegment unterwegs sind, ist das doch erstaunlich.

Wie wird man Risikoanalystin?
Den Königsweg gibt es nicht. Wir haben viele verschiedene Werdegänge in unseren Reihen. Letztendlich kann man das alles lernen – Zahlenverständnis und Analysefähigkeiten vorausgesetzt. Die meisten von uns haben allerdings einen bank- oder betriebswirtschaftlichen Hintergrund.

Was haben Sie vorher gemacht?
Ich habe zunächst eine Banklehre abgeschlossen und nach einigen Jahren im Kreditbereich noch ein BWL-Studium draufgesetzt. Danach war ich im Projektmanagement und im IT-Bereich tätig.

Welches berufliche Erlebnis hat Sie am meisten geprägt?
Eines meiner ersten Risikotelefonate. Da hat mir der Chef geschildert, dass die Insolvenz folgen wird, wenn wir die Kreditwürdigkeit seines Unternehmens aufheben und dass daran die Existenz von allen Mitarbeitern und ihren Familien hängt. Diese drastische Darstellung hat mir sehr zu denken gegeben. Aber letztendlich ist natürlich nicht unser „Grade“, sondern der Misserfolg des Unternehmens die Ursache für Probleme. Dennoch ist mir in diesem Telefonat schlagartig klar geworden, was für eine Verantwortung wir hier haben.  

Wollten Sie schon immer Risikoanalystin werden?
Ehrlich gesagt: nein. Aber manchmal kommt der Appetit beim Essen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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